Rhodos Journal


Lange Zeit unterschiedliche Formen und Bräuche, aber derselbe Glaube

Wie nah oder fern ist uns westlichen Christen eigentlich die orthodoxe Kirche? Im Glauben ist sie uns zweifellos ganz nah, beten wir doch (von einem einzigen Wort abgesehen – Näheres dazu auf Seite 9) genau das gleiche Glaubensbekenntnis wie sie. Die ersten großen Konzilien des 4. und 5. Jahrhunderts, in denen das christliche Bekenntnis in seinen Grundzügen formuliert wurde, werden von uns wie von ihnen anerkannt: Wir bekennen, daß Gott Vater die Welt erschaffen hat, daß Jesus Christus Gott und Mensch zugleich war, der uns durch sein Kreuz und seine Auferstehung erlöst hat, wir bekennen, daß Gottes Geist uns leitet und uns zusammenführt in der einen Kirche, die gegründet ist auf die Taufe, wir bekennen unseren Glauben an die Auferstehung der Toten.

In den ersten christlichen Jahrhunderten wurde um dieses Glaubensbekenntnis auf mehreren ökumenischen (d.h. "weltweiten") Konzilien intensiv gerungen. Kirchen spalteten sich ab: sei es, dass sie Jesus nur "wesensähnlich", aber nicht "wesensgleich" mit Gott Vater bekannten (und folgerichtig Maria nicht "Gottesgebärerin" nannten, sondern nur "Mutter Jesu"), sei es, daß sie in Jesus ausschließlich eine göttliche, nicht aber auch eine menschliche Natur bekannten oder nur einen göttlichen, nicht auch einen menschlichen Willen. Diese Kirchen existieren bis auf den heutigen Tag, wir westlichen Christen nennen sie die "altorientalischen Kirchen" - die koptische Kirche, mit der wir auf der Nahostkonferenz in Kairo ein wenig Kontakt hatten, zählt zu ihnen.

Zwischen dem Patriarchat von Konstantinopel, der Mutterkirche der Orthodoxie, und dem Patriarchat von Rom, der Mutterkirche des Westens, gab es keine solchen Glaubensunterschiede. Beide hielten gemeinsam fest an dem einen Bekenntnis, dem "Nicaeno-Constantinopolitanum", das in unseren Gottesdiensten zwar nur selten gesprochen wird, aber doch in unserem Gesangbuch selbstverständlich zu finden ist - nachzulesen unter der Gesangbuch-Nr. 805.

Daß sich dann in den gottesdienstlichen Feiern die Gebräuche und Texte selbständig und unterschiedlich entwickelten, darf nicht verwundern, wenn man sich nur vorstellt, wie weit Rom und Konstantinopel, Antiochien, Alexandrien und Jerusalem, die weiteren Patriarchate der Ostkirche, auseinander lagen. Natürlich tauschte man Gebetstexte aus, wenn es sich so ergab, Kirchenväterpredigten, Entscheidungen örtlicher Synoden und dergleichen. Doch die Wege durch das Mittelmeer waren weit und gefährlich, kein Patriarch verließ monatelang seine Herde, man hielt Kontakt nur durch Boten oder durch Briefe.

Den intensivsten Kontakt jedoch hielt man durch die Fürbitten: In jedem Patriarchat gab es Listen, mit welchen anderen Patriarchen man geschwisterliche Gebetsgemeinschaft pflegte. Aus einer solchen Liste gestrichen zu werden bedeutete nichts weniger, als von nun an als irrgläubig zu gelten, in sie wieder aufgenommen zu werden, daß man wieder zur Gemeinschaft der Rechtgläubigen hinzugezählt wurde.

Die Kirchengemeinschaft an der Gleichförmigkeit der Liturgie festzumachen, wäre niemandem in den Sinn gekommen. Zwar bildeten sich überall ähnliche Grundformen, nämlich: ein Eingangsritus mit Psalm und Gebet, dann Schriftlesungen aus dem Alten und Neuen Testament und dann die Mahlfeier mit dem Einsetzungsbericht nach den Worten der Heiligen Schrift und dem Vater Unser und einem Schlußritus mit Gebet und Segen. Doch wurden diese Grundformen immer reicher ausgestaltet, dann wieder neu gefaßt, reformiert, dem religiösen Empfinden und Sprachgebrauch der jeweiligen Zeit, der unterschiedlichen Länder angepaßt. Liturgie war etwas Lebendiges, wenn auch Ehrwürdiges, und nicht allen möglichen Moden unterworfen. So wie es auch heute noch ist oder zumindest sein sollte...

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