Rhodos Journal


Das Fasten

Für unsere orthodoxen Mitchristen hat die Fastenzeit begonnen, mit der sie sich auf das Osterfest vorbereiten. Im Lauf der Zeit bis dahin werden immer mehr Gläubige sich diesem Fasten anschließen, bis schließlich in der Karwoche der größte Teil von ihnen sich an diese uralten Regeln hält. Doch was bedeutet dieses Fasten eigentlich?

Schon lange haben Menschen gerade im Frühling aus gesundheitlichen Gründen das Fasten wieder für sich entdeckt. Aber als vor mehr als zwanzig Jahren die Nordelbische Kirche zum ersten Mal aufrief zu "Sieben Wochen ohne", waren alle erstaunt, welch ein Echo dieser Aufruf auslöste, und seither hat in der Zeit vor Ostern diese Aktion ihren selbstverständlichen Ort: Sieben Wochen Verzicht - worauf, entscheidet dann jeder selbst, je nach dem, wovon man womöglich droht, abhängig zu werden: Alkohol, Zigaretten, aber auch Fernsehen, Internet, Süßigkeiten, Disco- oder Kneipenbesuche. "Sieben Wochen ohne", um innere Freiheit zurückzugewinnen, um Zeit zu gewinnen, Zeit für das eigene

Woher und Wohin, Zeit für die Mitmenschen.

"Sieben Wochen ohne" können auch dazu dienen, die leise Stimme Gottes im Lärm unseres Alltags wieder zu vernehmen, weil wir versuchen, wieder leiser zu leben, und damit sind wir schon beim religiösen Sinn des Fastens. Wir besinnen uns darauf, was ein Mensch wirklich braucht, um glücklich zu sein, und wenn wir auf vieles verzichten, was sonst unseren Alltag füllt, kann es sein, daß wir allmählich zurückfinden zu der Erfahrung, daß wir vor allem Gott brauchen als Gegenüber, als Vater und Mutter, als Freundin oder Freund.

Wer in diesen Wochen sein Essen einschränkt und hineingeht in den Hunger, der wird jenseits dieses Hungers nach einiger Zeit vielleicht eine ganz neue Sensibilität entdecken für eine Begegnung mit Gott, eine tiefere Erkenntnis des eigenen Weges und eine größere Offenheit für die Mitmenschen.

Das sind dann Erfahrungen, die man nicht einfach "inszenieren" kann, sondern die geschenkt werden, vielleicht gerade dann, wenn man selbst gar nicht damit gerechnet hat.

Wenn orthodoxe Christen in dieser Zeit verzichten auf alles Fleisch, das irgendwie blutet, dann ist dabei gewiß nicht daran gedacht, daß Shrimps und Tintenfisch und Hummer eine viel größere Delikatesse sein können, sondern daran, daß nach uralter Überzeugung das Blut der Sitz des Lebens ist. Und über das Leben darf der Mensch nicht verfügen.

Nach der Schöpfungsordnung sollte der Mensch von Pflanzen und Früchten leben; erst nach der Sintflut werden den Menschen auch die Tiere als Nahrung gegeben, die von da ab die Menschen fürchten. Aber vom Blut sollte man sich fern halten (vgl 1.Mose 1,29 und 9,2-4). Wir Menschen sollen immer wieder daran denken, dass wir nicht Herren des Lebens sind, auch nicht des Lebens von Tieren. Hinter allem Leben steht Gott, der das Leben schuf.

Mögen solche Zusammenhänge auch weithin vergessen sein, so erinnert der Vollzug des Fastens doch immer wieder daran. Es ist gut, dass das Fasten uns die Grenzen unserer Verfügungsgewalt

über das Leben vor Augen führt.

Deshalb ist es für das ökumenische Gespräch mit der Orthodoxie eine Grundvoraussetzung zu erklären, daß keinerlei Form von Abwerbung, von "Proselytismus" sich im Gewand des Ökumenischen Gesprächs einschleichen werde. Und weiter ist es notwendig, deutliche Wertschätzung zum Ausdruck zu bringen für unsere orthodoxen Schwestern und Brüder, die das Neue Testament noch immer in der Ursprungssprache lesen und in ihren Gottesdiensten verkünden, und die noch immer in lebendiger Verbindung stehen mit den Traditionen der Kirche in den ersten Jahrhunderten. Wenn dies glaubwürdig geklärt ist, dann zeigt sich, daß gerade vom Ökumenischen Patriarchat Konstantinopel Angebote zur Begegnung mit großer Offenheit angenommen werden.

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